Samstag, 6. Oktober 2012

Rebel Yell




Lieber Tagesbuch,
da bin ich heute Morgen aufgestanden und habe gedacht, dass wir November hätten, so trüb und regnerisch war es. Dabei haben wir doch gerade erst Anfang Oktober und da kann es doch eigentlich nicht so regnen wie im November, voll bescheuert. Aber ich glaub, dass ich auch weiß, warum das so ist lieber Tagesbuch. Das hat alles mit dem Klima zu tun, das auch nicht mehr das macht, was man von dem erwartet. Früher konntest du dich mal da drauf verlassen, also pünktlich zum 1. November fing es an zu regnen und in den Sommermonaten war es warm und sonnig und auch sonst wusste ich immer, was ich so zu erwarten hatte von dem Wetter. Eigentlich weiß ich ja immer gerne, wo ich dran bin, aber manchmal liebe ich  halt auch Überraschungen und das nicht nur beim Wetter. Meine Tante hat mir zu Weihnachten immer einen selbstgestickten Pullover geschenkt und die einzige Frage und Überraschung war, ob sie das Loch, wo der Kopf durchgesteckt wird, groß genug gelassen hatte, damit ich auch mal ohne Probleme den Pullover anziehen konnte. So richtig Freude kam da bei mir nicht auf, zumal mein zwei Jahre jüngerer Bruder immer dasselbe Modell in einer Nummer kleiner geschenkt bekam. Das wiederum brachte mich zum Schmunzeln, denn wenn ich nach einem Jahr endlich aus dem Strickpullover rausgewachsen war, bekam mein kleiner Bruder mein Modell vererbt und ärgerte sich, dass er mindestens zwei Jahre hintereinander im selben Strickoutfit rumrennen musste. Andere hätten sich an das alljährliche Ritual am 1. Weihnachtstag gewöhnt, aber ich nicht. Ich weiß noch genau, wie wir im Auto saßen und je mehr wir uns der Wohnung von Tante und Onkel und Cousinen näherten, desto mehr wuchs in mir der Gedanke, mich diesmal nicht über den Strickpullover zu freuen. sondern das zu sagen, was ich auch tatsächlich dachte. Nach freudiger Begrüßung und nach Kaffee und Kuchen gab es die Geschenke und alle taten so, als ob es eine Riesenüberraschung geben würde. „ Na kleiner Mann, da bist du sicherlich gespannt, was das Christkind dir schönes mitgebracht hat.“ Ich war dreizehn, gerade auf dem Weg in die Pubertät und meine Spannung hielt sich in Grenzen. Das war quasi das berühmte Spiel ohne Grenzen, nur ohne Camillo Felgen, voll bescheuert. Alle freuten sich über ihre Geschenke und bedankten sich artig, nur der kleine dreizehn jährige Mann aus Lobberich schaute grinsend in die Runde, ohne sein Geschenk auszupacken. Auf die Frage, warum ich denn nicht mein Geschenk auspacken würde, antwortete ich, dass es doch eh der gleiche Strickpullover sei, den mein Bruder schon brav angezogen habe und dass ich keine Strickpullover mehr haben möchte. Damit waren die Gläser aber richtig voller Spaß lieber Tagesbuch und die Reaktionen gingen von erstaunten Blicken über Kopfschütteln bis hin zu Vorwürfen und Schimpfe meiner Eltern. Noch den ganzen Heimweg von Mönchengladbach nach Lobberich musste ich mir die Vorhaltungen meiner Eltern anhören, und meine Geschwister hatten ihre wahre Freude daran, wie ich verbal eins auf die Mütze bekam, voll bescheuert. Ich kam mir ungefähr so vor wie Billy Idol, den zu dem damaligen Zeitpunkt noch keiner kannte und irgendwie hatte ich die Melodie zum späteren Hit Rebel Yell von Billy Idol in meinem kleinen niederrheinischen Kopf. Lieber Tagesbuch, auch wenn das Ganze drum herum nicht sonderlich angenehm und nicht unbedingt der einfache und leichte Weg war, so hat es mich früh gelehrt, immer meine Meinung zu sagen und nichts zu machen, wovon ich nicht überzeugt bin. Im darauf folgenden Jahr habe ich von meiner Tante und meinem Onkel zu Weihnachten ein paar Fußballschuhe und einen Schal von Borussia Mönchengladbach geschenkt bekommen.



Bis neulich
Mütze

3 Kommentare:

  1. M. aus E. bei D.6. Oktober 2012 um 17:37

    Aber das Idol Billy (ist das eigentlich der Bruder vom Bücherregal?) konnte/kann bestimmt den linken Mundwinkel besser hochziehen als Du, oder?

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  2. Irgendwann werde ich vielleicht mal mehr von Billy Boy erzählen, grins

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  3. ... rein äußerlich ist die Ähnlichkeit ja nun weniger frappierend :-)

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